Maibaum – Tradition und Brauchtum

Wieder einmal ist die Zeit gekommen in alten Protokollbüchern zu blättern: „Wie war das eigentlich mit den Maifeiern am 30. April?

Am 14. Juli 1889, im 100. Jubiläumsjahr der Französischen Revolution, tagte in Paris der Gründungskongress der II. Internationalen. Das „Weltparlament der Arbeit“ erklärte den Ersten Mai des folgenden Jahres zum Kampftag der Arbeiterbewegung und verabschiedete eine Resolution, in der vor allem die Einführung des Achtstundentages gefordert wurde. Für eine generelle Arbeitsruhe an diesem Tag sprachen sich die Delegierten allerdings nicht aus, weil in jedem Land die Maifeier den nationalen Gegebenheiten angepasst werden sollte. Da im Deutschen Reich zu dieser Zeit das Sozialistengesetz noch in Kraft war, hätten Arbeitsniederlegungen zu schweren Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht geführt.

Brauchtum

Diesen Tag auch im Mössinger Dorfleben zu integrieren, bereitete relativ geringe Schwierigkeiten, ließ er sich doch in bereits bestehende Traditionen einbinden. Der Erste Mai war schon immer ein Datum von zentraler Bedeutung: Der Errichtung der Maibäume auf dem Dorfplatz; die blühenden Büsche, die die jungen Burschen den Mädchen als Liebesbeweis aufs Dach steckten oder – die sehr verbreiteten Maischerze. So war es für die jungen Männer des Jahrgangs 1918 ein Riesenspaß, als sie einmal einen Heuwagen im Wald versteckten. Es gibt wahrscheinlich keinen anderen Brauch, bei dem Volks- und Arbeiterkultur so eng ineinander verbunden sind wie bei diesem Fest.

Maibaum

Der Maibaum als Zeichen des Frühlings ist fester Bestandteil im Brauchtum von Württemberg und besteht seit mehr als 200 Jahren, doch die Ursprünge lassen sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Der Maibaum ist Ausdruck der Lebensfreude. In der Walpurgisnacht wird daher zu Ehren der heiligen Walburga getanzt. Walpurga war eine angelsächsische Benediktinerin und Äbtissin des Klosters Heidenheim. Die Walpurgisnacht gilt auch als magische Nacht.

Kein Maibaum ohne Baumschmuck! Nachdem der schönste Baum im Wald geschlagen ist, treffen sich normalerweise immer fleißige Helfer in der Halle des Musikvereins, um das frisch geschlagene Material zu verarbeiten. Hier wird Surijana Anderlitschka von Silke Duppke ins Maibaumkranzbinden eingewiesen.

Es war aber auch eine gern gepflegte Tradition, dass junge Männer in der Nacht zum 1. Mai im Nachbarort den Maibaum stahlen. In dieser Nacht wird der Maibaum daher immer bewacht. Üblich ist das Auslösen des gestohlenen Baumes. Dazu begibt sich eine Abordnung der Bestohlenen zu den Dieben und handelt den Preis aus, der üblicherweise in Naturalien (Getränke und Essen) zu entrichten war.

Die erste Maifeier

Die erste Maifeier im Steinlachtal, die am 30. April mit dem Stellen des Maibaums und einem Tanz in den Mai begann, fand 1895 erstmals im benachbarten Bodelshausen statt. Dieses Datum ist daher überliefert, da es zu Gründung des ersten SPD-Ortsvereins führte, so die Erinnerungen des Möbelschreiners Jakob Nill. Es sollte ein Fest für die ganze Familie sein, weswegen auch viele Mössinger zu Gast waren. Es hatte ihnen dann wohl dort bei der Verwandtschaft so gut gefallen, dass sie angefüllt mit neuen Vorstellungen und Ideen, diese Maifeier auch im eigenen Ort etablieren wollten.

Die politische Dimension der Arbeiterkultur konnte bis 1914 ausschließlich bei diesen Gelegenheiten öffentlich sichtbar werden. Die Mössinger wussten, dass zeitgleich nicht nur in den benachbarten Dörfern, sondern auch in den Großstädten anderer Länder vergleichbare Feiern stattfanden. Sich hier zu engagieren, eröffnete den Mössinger Arbeitern die Möglichkeit, sich von althergebrachten Dorfstrukturen, in denen sie bisher keine Einflussmöglichkeiten gehabt hatten, sondern immer von den reichen Bauern und anderen Dorfhonoratioren abhängig waren, zu befreien. Erst mit der Entstehung der Vereine wurde dieses Abhängigkeitsverhältnis durchbrochen. Nun hatten sie zum ersten Mal die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen und gemeinsam Forderungen zu erheben. Bedeutsam war vor allem bei diesen Feiern, das öffentlich demonstrierte Gefühl der Solidarität.

Im Festzug durch Mössingen

So zogen am Vortag zum 1. Mai alle Arbeiter für alle hör- und sichtbar in einem Festzug durch Mössingen. Um seiner Position Gehör zu verschaffen, hatte die Spielvereinigung am 11. März 1924 sogar ein Trommler- und Pfeifergruppe gegründet. Aktivitäten fanden also nicht mehr versteckt in den Vereinslokalen statt, sondern alle Vereine traten an diesem Tag gemeinsam an die Dorföffentlichkeit.

Prachtvoll anzusehen war das Pferdegespann von Bruno Reuter, das im letzten Jahr den Maibaum vom Gesundheitszentrum aus entlang der Breitestraße bis zum Rathaus gezogen hatte. Vorneweg marschierten die Musiker des Musikvereins mit flotten Märschen.

Eine Tradition wird gepflegt

Die Tradition des Maibaumaufstellens hat sich in Mössingen bis heute erhalten und genauso wie damals wird auch für ein ansprechendes buntes Programm gesorgt. Für Groß und Klein ist das Maibaumstellen mit sogenannten Schwalben immer wieder eine gern gesehene Attraktion. Etwas, das es leider nur noch sehr selten zu sehen und zu bestaunen gibt.

Die kräftigen Männer des Original Steinlachtaler Fasnetsvereins nehmen den langen Stamm in Empfang. Wie ein gut gespitzter Bleistift liegt dieser rindenlose Stamm einer über 20 Meter hohen Weißtanne letztendlich vor dem dafür vorgesehenen Loch. Ganz ohne Maschinenkraft! Die Schwalben werden routiniert angelegt und der Maibaum so Stück für Stück in die Höhe gestemmt. Das ist nämlich gar nicht so einfach, denn jeder Schritt muss wohl durchdacht und auch überwacht sein.

Es wurde auch für ein buntes Programm gesorgt, das für das ganze Dorf ansprechend war. Auch in diesem Jahr lockt das Kaiserwetter, doch leider wird es nichts werden mit der „ersten Frühlings-Roten-Wurst“ auf dem Rathausplatz und dem anschließenden Tanz in den Mai in der Langgass-Sporthalle.

Denn – in diesem Jahr ist alles ganz anders – und deshalb muss diesmal auf das traditionelle Aufstellen des Maibaums verzichtet werden. Grund hierfür ist die gültige Rechtsverordnung des Landes zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

Der Maibaum wird 2020 nicht mit seiner grünen Girlande, dem Ring aus Tannenzweigen und den rot-weißen Bändern sanft im Frühlingswind wanken. Aber wir hoffen aber sehr, dass unser Baum im nächsten Jahr wieder viel Freude bereiten wird und im Wonnemonat Mai viele sonnige Stunden vor dem Rathaus erleben darf!